Er war einer der ersten deutschen Militärbeobachter, der in den 90er Jahren für die Bundesrepublik Deutschland in einen Einsatz der Vereinten Nationen gegangen ist. Diesen Schritt hat er nicht bereut und er war zukunftsweisend. Heute lehrt er an der Führungsakademie der Bundeswehr junge Stabsoffiziere im Themenfeld Vereinte Nationen (VN) und Europäische Union (EU) und schöpft dabei aus seinem breiten Erfahrungsschatz.
„Als ich als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr kam, konnte ich noch gar nicht abschätzen, wo es beruflich für mich hingeht“, beginnt Oberstleutnant Karl Rüdiger Tillmann zu erzählen. Die ersten Monate beim Bund gefielen ihm und so bewarb er sich für die Offizierslaufbahn. Nach seiner infanteristischen Ausbildung und dem Abschluss des Pädagogikstudiums 1984 machte er erste Führungserfahrungen in einem Infanteriebataillon und später als Kompaniechef in einem Panzergrenadierbataillion.
Nach dem Basislehrgang für zukünftige Stabsoffiziere an der Führungsakademie wollte sich Tillmann dienstlich international aufstellen. Ihm wurde eine Verwendung an der Infanterieschule Hammelburg angeboten, in das noch aufzubauende VN-Ausbildungszentrum der Bundeswehr. Die war mit einer umfassenden VN-Ausbildung gekoppelt und einem dazugehörenden Auslandseinsatz.
„Der United Nations Staff Officer Course in Schweden“ weckte bei Tillmann großes Interesse und er setzte sich unter einigen Bewerbern durch. Nach diesem dreiwöchigen Kurs, bei dem er die Grundlagen und Verhaltensweisen im internationalen Umfeld für einen VN-Einsatz kennenlernte, meldete er sich für den Einsatz als Militärbeobachter.
Einsatz in Georgien
1995 war er einer der ersten deutschen Militärbeobachter in Georgien/Kaukasus in der Region Kodori (2.800 Meter ü.n.N), und nach der Einweisung im Hauptquartier der VN in Sukhumi (Abchasien) auf sich allein gestellt. „Mein Auftrag war es, eine Schutzzone für die Bevölkerungsgruppe der Svaneten zu überwachen“, erklärt Tillmann. Dazu gehörte es, die Verbindung zu den russischen Friedenstruppen zu halten und Gespräche mit der abchasischen Bevölkerung zu führen.
„Meine Unterkunft war eine Hütte auf circa 2.500 Höhenmeter, der Weg dahin steil und definitiv nicht als Straße zu bezeichnen.“
Alltägliche Dinge wurden zur Herausforderung. Gewaschen habe er sich im Fluss und Trinkwasser aus einer Quelle gewonnen. Für Nahrungsmittel musste er sich vorab einen Plan machen und für Lebensmittel einen Weg von zehn Kilometern durch teilweise bergiges Gelände auf sich nehmen. Wöchentlich bekam er ein bis zwei Tage Unterstützung von einem Dolmetscher, der mit ihm zu den Einheimischen fuhr, um sich über die Lage zu informieren.
Überfall und Geiselnahme
Regelmäßig meldete der damalige Hauptmann dem Büro der VN seine Beobachtungen und bekam neue Aufträge zur Erkundung. „Da das Gebiet so bergig und unwegsam war, haben wenige Kilometer schon viel Zeit abverlangt. Unser Fahrzeug steckte unzählige Male fest, wenn Brücken vorhanden waren, betete ich einfach nur, dass diese auch weiterhin halten“, erinnert sich Tillmann.
Bei allen Eindrücken prägte sich ein Ereignis bei Oberstleutnant Tillmann besonders ein: „Ich war mit meinem Dolmetscher unterwegs und plötzlich ging alles ganz schnell: Unser Fahrzeug wurde beschossen, mit Waffengewalt wurden wir aus dem Fahrzeug gezerrt und verschleppt.“ Was in den darauffolgenden Stunden passierte, hatte Tillmann in seiner Vorausbildung zwar erfahren, aber dass er selbst in eine Geiselnahme gerät, hätte er nie gedacht.
Die Geiselnehmer wandten psychologische Tricks und körperliche Gewalt an. Man sagte Tillmann, dass der andere Gefangene bereits hingerichtet wurde, nur um ein Ziel zu erreichen: dass die Schutzzone nicht durch die VN geschlossen wird. Es wurde befürchtet, dass georgische oder abchasische Truppen die Region annektieren würden und mit brutalster Gewalt die Svaneten unterdrückt werden.
Vier Tage nach der Entführung verkündeten die VN, dass die Schutzzone zunächst nicht geschlossen werden würde. Und so endete die Geiselnahme für Tillmann nach 90 Stunden. Auch der Dolmetscher überlebte. Somit war Tillmann froh, dass diese Situation beendet wurde und er lebend die Region verlassen konnte. Trotz der Erfahrung körperlicher Gewalt und Willkür durch die Geiselnehmer, kehrte er zu einem späteren Zeitpunkt in die Region zurück, um seine Aufgaben weiter fortzuführen.
Weitere Einsätze
Die Erlebnisse und Widrigkeiten aus seinem ersten Einsatz in Georgien schreckten Oberstleutnant Tillmann nicht ab. Er wollte sich weiter für die Ausbildung und Auslandseinsätze der UNUnited Nations engagieren. Daher folgten weitere Einsätze in Bosnien, Afghanistan, im Sudan und Südsudan. Hinzu kamen kürzere Einsätze als Trainer für ein „Partner-Ship for Peace Programm“ in Tschechien. Außerdem war er als Unterstützer beim Aufbau eines VN Militärbeobachter-Kurses in Argentinien und bei verschiedenen Erkundungs- und Evaluierungsreisen für die VN in Kongo, Südsudan, Mali, Äthopien, Eritrea und Uganda.
Zusätzlich zu diesen Missionen war Tillmann außerdem für mehrere Monat vom Dienst als Bundeswehrsoldat freigestellt, um für die Vereinten Nationen in New York zu arbeiten. Dort beschäftigte er sich unter anderem mit dem Qualitätsmanagement der VN-Ausbildung und unterstützte bei der Ausbildung als Militärpolitischer Berater sowie im Bereich Personal.
Sein persönliches Highlight war die Verwendung bei der VN geführten Mission in Afghanistan, in der er als fachlicher und militärpolitischer Berater für die Missionsführung fast zwei Jahre im gesamten Land tätig war. Die Mission der VN in Afghanistan (UNAMAUnited Nations Assistance Mission in Afghanistan) ist eine politische Mission und noch heute vor Ort.
Einsatz für die Führungsakademie
Sieht man Oberstleutnant Tillmann ins Gesicht, wenn er über seine Erlebnisse mit und bei den VN spricht, erkennt man sofort das Funkeln in seinen Augen und die Begeisterung, seine Erfahrungen zu teilen. Prozesse, Umgangsarten und Ausbildungsinhalte kann der Dozent an der Führungsakademie nicht nur aus dem Schlaf wiedergeben, sondern er füllt sie mit Leben. Ein Gewinn für die Teilnehmenden des LGAN, LGAI und des UNSOC, bei denen er für mehrere Wochen im Jahr zum Thema VN unterrichtet. Nach mehr als 40 Jahren im Dienst der Bundeswehr und einigen Jahren mit den Vereinten Nationen ist der 60-Jährige heute neben seiner Lehrtätigkeit sportlich beim Judo, entschleunigt beim Lesen und schnell in seinem Sportwagen unterwegs.