Er ist Senior Mentor an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg: Vizeadmiral a.D. Rainer Brinkmann. Welche Aufgaben er im Marineanteil des Lehrgangs Generalstabs-/Admiralstabsdienst National (LGAN) 2021 wahrnimmt, was einen guten Planer ausmacht und was er den Führungskräften mit auf den Weg geben möchte, hat er im Interview verraten.
Herr Admiral, in der aktuellen Lehrgangsphase erfahren die Teilnehmenden anhand von historischen Beispielen und mittels realitätsnahen Übungsszenaren, was sie später in Planungsstäben in höheren Kommandobehörden, aber auch in NATO Hauptquartieren erwarten könnte. Was macht einen guten Planer aus und worauf legen Sie persönlich besonderen Wert, wenn es darum geht einen Operationsplan zu schmieden?
Meines Erachtens sind es vor allem zwei Eigenschaften, die ein guter Planer mitbringen muss: Er muss sich gedanklich zu disziplinieren wissen. Gemeinhin neigen Menschen dazu, bei einem auftretenden Problem schnell und oftmals intuitiv zu urteilen und zu handeln. Das kennen wir nur allzu gut aus unserem Alltag. Erfahrungen sowie Denk- und Wahrnehmungsmuster, die sich in der Vergangenheit angeeignet wurden, helfen natürlich, eine unübersichtliche Gegenwart zu reduzieren, zu strukturieren und für das Individuum beherrschbar zu machen. Die sorgsame Planung komplexer Operationen mit all den bestehenden Abhängigkeiten aber verlangt noch ein wenig mehr. Sie verlangt danach, eine Lage systematisch zu analysieren und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Da es im Kern darum geht, eine als unbefriedigend empfundene Situation im Sinne meines Auftraggebers zu verändern, ist zuvorderst die Frage zu beantworten, was eigentlich Ziel und Zweck meines Tuns ist.
• Welche Faktoren sind zu berücksichtigen und wie zu gewichten?
• Welche Mittel stehen mir zur Verfügung?
• Welche Handlungsoptionen bzw. Vorgehensweisen sind grundsätzlich vorstellbar?
• Welche Vor- und Nachteile sind damit verbunden?
• Und welche Risiken bestehen?
Auf dieser Grundlage lässt sich dann unter Abwägung von Handlungsmöglichkeiten und Risiken eine reflektierte Entscheidung über das Vorgehen treffen.
Ein guter Planer zeichnet sich auch dadurch aus, dass er in Konjunktiven und Alternativen denkt. So sehr wir uns nach Imperativen, nach Verlässlichkeit und Berechenbarkeit sehnen, müssen wir immer in Rechnung stellen, dass es grundsätzlich auch anders sein könnte. Künftige Konfliktszenare zeichnen sich durch einen „Fog of War“ aus, einen Nebel, der viele Dinge nicht durchschaubar macht. In einer solchen Situation tue ich gut daran, meine vermeintlichen Gewissheiten und Handlungsschablonen in Frage zu stellen. Der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfield hat überdies vom Unknown Unknown gesprochen, womit ausgedrückt wird, dass wir nicht einmal wissen, was wir nicht wissen. Das genau macht Planung so herausfordernd und spannend und gerade deswegen ist es von so immenser Bedeutung, in Konjunktiven und Alternativen zu denken.
Während der Planungsübung agieren Sie in den verschiedensten Rollen. Sie sind nicht nur Vizeadmiral a.D. und ehemaliger Spitzendienstposteninhaber der Marineführung, sondern auch Senior Mentor, Kamerad und für die Planungsübung der Commander des Allied Maritime Command in Northwood. In welcher Rolle fühlen Sie sich am wohlsten und warum?
Beide Rollen - die als Mentor und die als Commander - üben einen ganz besonderen Reiz aus, weswegen ich auch keine Präferenz habe.
Als Senior Mentor bin ich bemüht, die Lehrgangsteilnehmer an meinen Erfahrungen teilhaben zu lassen, die naturgemäß nicht Bestandteil der reinen Lehre sind. So fundiert und umfänglich die Lehre auch das theoretische Rüstzeug für die operative Planung vermittelt, so sehr verlangt der Alltag doch nach Agilität und Anpassung. Bloße Theorie muss sich immer in der Praxis bewähren. Anspruch trifft oft auf Wirklichkeit. Insofern ergänzt sich dann auch Lehre und Erfahrung. Diese Erfahrung aus der Praxis bin ich bemüht, an die Lehrgangsteilnehmer weiterzugeben.
Als Senior Mentor biete ich mich gern aber auch jenseits der eigentlichen Vermittlung des operativen Planungsprozesses als „väterlicher“ Ratgeber und Resonanzboden an.
In der Rolle als Commander des Allied Maritime Command fühle ich mich allein deswegen schon wohl, weil ich nie das Privileg hatte, das bezeichnete Kommando zu führen und jetzt im Rollenspiel nachholen darf, was mir nie vergönnt war. Aber Spaß beiseite: Wer würde sich nicht in einer – wenn auch nur gespielten – Funktion wohlfühlen, in der Entscheidungen getroffen werden müssen und Führungsverantwortung zu tragen ist. Ich entscheide etwas und es passiert dann auch etwas. Auch wenn es nur ein Planspiel ist, macht mir insofern auch diese Facette meiner Aufgabe sehr viel Spaß.
Im Übrigen ermöglichen mir beide Rollen, mich mit Denkweisen und Geisteshaltung junger Offiziere und Lehrgangsteilnehmenden auseinanderzusetzen, was ich als eine unglaubliche Bereicherung empfinde. Ich profitiere selbst also auch in erheblichem Maße, wenn es darum geht, intellektuell die Klingen mit dem Führungsnachwuchs zu kreuzen.
Die meisten Soldatinnen und Soldaten des Lehrgangs hatten bereits Dienstposten mit hoher Personal- und Materialverantwortung inne. Einige waren Kommandant, Kompaniechef oder dienten in NATO Hauptquartieren. Die Lehrgangsteilnehmer verfügen daher schon selbst über breitgefächerte Führungserfahrung. Gibt es neben dem fachlichen Handwerkszeug noch etwas, was Sie den Führungskräften mitgeben wollen?
Die vielen unterschiedlichen Erfahrungshorizonte der Lehrgangsteilnehmer machen jeden einzelnen von ihnen zu einem Unikat. Und in den diversen fachlichen Spezialisierungen ist manch ein Lehrgangsteilnehmer schon ein wirklicher Experte und Erfahrungsträger. Da stellt sich die Frage, was der Einzelne noch dazulernen soll. Bei aller individuellen Expertise geht es in dieser Planübung aber vor allem auch darum zu erkennen, dass der Schlüssel zum Erfolg in der Teamleistung liegt, in die sich jeder mit seiner Kompetenz und seinem Know-how nach besten Kräften einbringen muss. Jeder lernt hier den Grundsatz zu leben: Ich bin einer von wir! Auch im Alltag wird sich der Erfolg nur einstellen, wenn eben dieser Grundsatz beherzigt wird.
Die Bundeswehr steht vor enormen Herausforderungen und auf die angehenden Spitzenführungskräfte warten Dienstposten, die Hingabe und Haltung, Opferbereitschaft, Mut und Verantwortungsbewusstsein erfordern. Vor allen Kardinaltugenden aber kommt – wie Clausewitz dies auch gesagt hat – die Klugheit. Und die wünsche ich den Lehrgangsteilnehmern.
Was bewahrte Sie in Ihrer Dienstzeit vor Überarbeitung und Überforderung?
Wenn es mal wirklich eng wurde und ich geneigt war zu resignieren und die Segel zu streichen, halfen mir immer – so antiquiert das klingen mag – eine gehörige Portion Gottvertrauen und der Gedanke an das, was wirklich wichtig ist, auf was immer Verlass war und was für mich immer ein fester Ankergrund war: die Familie und die Freunde! Ich denke, dass jeder Mensch solcher Quellen bedarf, um Kraft, Energie und Zuversicht zu schöpfen.
Herr Admiral, wir befinden uns inmitten einer Zeitenwende und Sie erlebten während Ihrer Dienstzeit ebenfalls Zeitenwenden, u.a. die Wiedervereinigung. Im Jahr nach dem Mauerfall, im Jahr 1990 begannen Sie ihre Akademieausbildung an der Führungsakademie in Hamburg. Wo sie damals standen, stehen heute die Lehrgangsteilnehmenden in ihren Fußstapfen. Sehen Sie Parallelen zu Ihrer Zeit?
Parallelen zu der Zeitenwende 1990 sind wahrlich vorhanden, nur die Vorzeichen haben sich verkehrt. War die Wiedervereinigung seinerzeit der Schlusspunkt einer Epoche der militärischen Konfrontation und des Kalten Krieges, steht die Annexion der Krim und der Angriffskrieg durch Russland heute scheinbar wieder für den Beginn eines solchen Zeitabschnittes. Die Hoffnung hat getrogen, dass sich eine Welt überkommen hat, in der die Anwendung militärischer Gewalt zur Durchsetzung partikularer Ziele zum politischen Repertoire von Staaten gehört. Der Mensch ist des Menschen Wolf geblieben. Das ist fast schon eine anthropologische Konstante. Hoffentlich erinnert sich unsere Politik auch noch daran, wenn sich der Pulverqualm irgendwann einmal über der Ukraine verzogen hat.
Was empfehlen Sie den Lehrgangsteilnehmenden in Bezug auf den Umgang mit der Zeitenwende?
Die Lehrgangsteilnehmenden sollten meines Erachtens aus diesen Erfahrungen unterschiedliche Lehren ziehen:
1. Der soldatische Dienst hat einen wirklichen Sinn. Die Soldaten sind es, die letztendlich den Frieden in Freiheit verteidigen und gewährleisten. Auf ihren Schultern ruht gleichermaßen die raison d’etre dieses Staates. Das verpflichtet und gibt dem Bonmot „wir dienen Deutschland“ Inhalt und Sinn.
2. Die Defizite, die wir noch heute in Bezug auf Materialausstattung, Personalbedarfsdeckung und Einsatzbereitschaft haben und die der Nachhall einer seinerzeit erhofften Friedensdividende sind, dürfen nicht Esprit, Engagement und Enthusiasmus schmälern, sie sollten vielmehr der Stimulus sein, die Zeitenwende zu gestalten.
Das schöne Gedicht von Goethe könnte uns Richtschnur sein, wie diese Zukunft anzupacken ist:
Feiger Gedanken
Bängliches Schwanken,
Weibisches Zagen,
Ängstliches Klagen
Wendet kein Elend,
Macht dich nicht frei.
Allen Gewalten
Zum Trutz sich erhalten,
Nimmer sich beugen,
Kräftig sich zeigen,
Rufet die Arme
Der Götter herbei!