Eine Betrachtung zum Regionalen Informationstag des Internationalen Lehrgangs Generalstabsdienst/ Admiralitätsstabsdienst (LGAI) am 23. März 2023: Mit der zweiten Veranstaltung eines themenbezogenen „Regionalen Informationstages“ (RIT) des LGAI wurde sich der Maritimen Seidenstraße aus wirtschaftspolitischer Sicht gewidmet. Natürlich waren sicherheitspolitische Aspekte bei der Betrachtung an der höchsten militärischen Ausbildungsstätte der Bundeswehr ebenfalls eingeschlossen. Die Besonderheit bei diesem RIT bestand darin, dass Vertreter aus den betroffenen Anrainerstaaten der Indo-Pazifik-Region sich den Herausforderungen stellten, die Sichtweisen auf die chinesische Seidenstraßeninitiative zu erörtern.

RIT Maritime Seidenstraße

Es waren die Lehrgangsteilnehmenden des LGAI aus Indonesien, aus Vietnam und Singapur, die die jeweilige Position ihrer Länder darstellten. Die Bedeutung dieses Themas wurde durch den Besuch des indonesischen Botschafters, S.E. Herrn Oegroseno, unterstrichen, der vor einer vollgefüllten Rotunde an der Veranstaltung teilgenommen hat. Das Thema der Tagung reiht sich ideal an die im Dezember an der FüAkBw stattgefundene GIDS-LGAI-Alumni-Asientagung zu Herausforderungen in der Indo-Pazifik-Region ein.

Der aufgrund seines Studiums in Peking und Tokio, seines beruflichen Werdegangs und seiner Promotion am Kings College London, Großbritannien, mit der Region und den dortigen sicherheitspolitischen Fragestellungen vertraute Kapitänleutnant Tobias Kollakowski, wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIDS, eröffnete den RIT. In seiner Einführung zum Thema „Maritime Seidenstraße“ spannte er den Bogen zwischen China als dem gewichtigsten Akteur und Impulsgeber der als Seidenstraße bezeichneten Belt and Road Initiative (BRI) auf der einen Seite und den betroffenen Interessen anderer Akteure der Region auf der anderen Seite. Herzstück seiner Überlegungen waren die Auswirkungen von Chinas BRI-Politik im Seehandel.

Die BRI Chinas hat wirtschaftspolitische Implikationen für eine ganze Reihe von Staaten des Indo-Pazifiks, mit Auswirkungen bis nach Europa und Afrika. 151 Staaten haben bis Januar 2023 Vereinbarungen im Rahmen der BRI-Initiative geschlossen. Allein diese Zahl verdeutliche, wie stark China mit der BRI in das geowirtschaftliche und geopolitische Umfeld eingreife. Nicht zuletzt diesen Aspekt stellte Xi Jinping in seiner Rede vor dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas heraus, in dem er seine Ambitionen betonte, die internationale Ordnung zu reformieren. Dabei sind nicht nur der Ausbau der Handelswege über Land betroffen. Erinnert sei an die Neubaustrecken des Schienenstrangs für schnelle Güterverkehrsstrecken von China durch Zentralasien nach Europa über unterschiedliche Trassen, an den Bau der China-Laos Railway, der China-Myanmar Railway, der China-Myanmar Oil & Gas Pipelines, des China-Malaysia Kuantan Industrial Parks, der Jakarta-Bandung High-Speed Rail und vieler Projekte mehr. Nein, deutlicher wird der politische Ansatz der BRI im Seehandel, der 98 % des interkontinentalen Warenverkehrs aufnimmt. Doch der Seehandel weist immer Gefahren von Störungen auf.

Diese zu verringern und die Handelswege friktionsfrei zu nutzen und in eigenem Sinne zu gestalten, ist ein Teil des BRI-Interesses Chinas. Doch die Dimensionen greifen weiter. China hat im BRI-Rahmen auch den Vor- und Nachlauf des Seehandels im Blick. So verwunderten die Investitionen in Hafeninfrastrukturen nicht, seien es Engagements Chinas in Häfen von Pakistan oder in afrikanischen Staaten, in Griechenland oder in Deutschland. Wie sehr Renditegesichtspunkte für die BRI eine zentrale Rolle einnehmen, wird intensiv diskutiert. Deutlich wird, dass China langfristige politische Ziele mit seiner BRI-Politik verfolge, unter anderem mit dem Ziel, die Handelswege umzulenken. Viele Staaten haben aus den ersten Einflüssen Chinas im Zuge der BRI gelernt und verhandeln mit China verstärkt im eigenen Interesse. Nicht zuletzt habe auch China selbst seinen Ansatz adaptiert, denn es achte mehr und mehr darauf, dass seine Investitionsgelder nicht in der Korruption der Nehmerstaaten versickern.

Am Ende seiner Darstellungen zur BRI versuchte Kollakowski eine Einschätzung vorzunehmen, welche Haltung in DEU zur BRI vorherrschend sei. In seiner Schlussfolgerung führte er aus, wie Deutschlands Positionierung gegenüber China über die letzten Jahre kontinuierlich immer kritischer geworden ist.

Würde diese Einschätzung Deutschlands auch in der Region geteilt, einer Region, in der seit 1967 bis auf Osttimor und China alle Staaten in der ASEAN-Gruppe zusammengeschlossen sind und die mit der AFTA die größte Freihandelszone der Welt initiiert habe?

Mit Spannung erwartete das Publikum die sich daran anschließenden Perspektiven und Schlussfolgerungen der teilnehmenden Gästenationen aus Indonesien, Vietnam und Singapur.

„Den Drachen umarmen, den Adler bewahren“. Mit diesem Leitmotiv verdeutlichte Major Ilham für Indonesien die Haltung seines Landes. Für Indonesien als junge Industrienation in der Indo-Pazifik-Region, seinen 273,5 Mio. Einwohnern, die auf 17.000 Inseln leben, ist der Seehandel lebenswichtig. Die an Indonesien vorbeilaufende Malakka-Straße und die Singapurstraße, die die geopolitische Lage des Landes zwischen dem Indischen Ozean und dem Pazifik kennzeichnen, erhebt das Land zu einer Brückenfunktion. Diese Lage verlangt nach einer Politik der Unabhängigkeit ohne Blockbindung. Seit 2017 ist Indonesien Mitglied der G20-Staatenrunde. So verwundert die Vision eines globalen, maritimen Drehkreuzes nicht. Aus Sicht Indonesiens ist es nur folgerichtig, dass die BRI-Politik Chinas mit vielen Chancen verbunden wird. Dieses Land unterstützt die BRI-Initiativen, wenngleich die Bevölkerung den Einfluss Chinas in der Region skeptisch beurteile und die illegale Fischereipolitik Chinas verurteilt wird. Die Strategie Indonesiens ist die einer Hedging-Strategie im Rahmen der ASEAN-Politik, die einen Dialog mit China als größten Akteur beinhalte. Fazit: Indonesien hat ein strategisches Interesse, das Meer für Güter freizuhalten. Die BRI bietet hierzu für Indonesien viele Chancen.

Zu einer entgegengesetzten Einschätzung kam Major Van Binh Nguyen, der die Situation Vietnams „zum großen Nachbarn“ analysierte. Vietnams Wirtschaft wachse seit 1975 stetig, wobei der Seehandel die stärkste Säule darstelle. 90 % des Warenhandels des Landes durchläuft die Seehäfen des Landes. Die Politik Vietnams sei es, die Kooperationen mit seinem Nachbarn im Rahmen der BRI zu stärken, obwohl China vietnamesische Inseln annektiert habe, China Fischereiverbote an seinen Grenzen zu Vietnam ausgerufen habe und Befürchtungen im Hinblick auf die Verschuldungen und geopolitischen Risiken durch China bestehen. Grundsätzlich unterstütze Vietnam die BRI. Dennoch ist Vietnam unter den teilnehmenden Staaten das einzige Land, das noch kein konkretes Projekt mit China verfolge. So ist es ein politisches Signal, dass die vietnamesische Marine an gemeinsamen Seemanövern mit China teilnimmt, um die Seewege sicherer zu machen.  

Für den Insel- und Stadtstaat Singapur, durch den ein Viertel des weltweiten Seehandels abgewickelt wird, und das von seiner Fläche gerade einmal zwei Drittel der Fläche von Hamburg einnimmt, jedoch mit 5,7 Mio. Einwohnern gut 2,5 mal so viele Bewohner besitzt, ist die Freiheit und Sicherung des Seehandels das „Herzblut“ der Seestadt neben der Bedeutung als Finanzstandort mit geringster Korruptionsrate. Aus Sicht von Herrn Major Zhi Yoong Khiew aus Singapur zielt die Politik seines Landes daher darauf ab, Singapur nicht zu einem Vasallenstaat eines Akteurs der Region werden zu lassen, eine lebendige Wirtschaft aufrecht zu erhalten und sich aus den genannten Gründen verteidigen zu können. Singapur, so seine Ausführungen, will jedermanns Freund und niemandes Feind sein. Das verlange eine glaubwürdige und konsequente Politik in der Region. Aus diesem Grund wird auch die BRI-Politik Chinas unterstützt. Denn 33 % der BRI-Investitionen aus China und 85 % der BRI-Investitionen nach China werden über den Hafen- und Finanzplatz Singapur abgewickelt. Im Rahmen der BRI baut Singapur gerade an einer Landverbindung nach China, um die Gefahr einer anderen BRI-Initiative abzuwenden: den Bau des Thailand-Malaysia-Kanals, der den Seehandel nicht mehr durch die Singapurstraße führen würde. Folgerichtig zielt die Politik Singapurs nicht mehr darauf ab, Wachstum und wirtschaftliches Überleben aus der geopolitischen Lage Singapurs abzuleiten. Singapur sieht sich in der Rolle eines ehrlichen Maklers der Staaten der Region. Gleichwohl ist es das Ziel Singapurs, bis 2040 den Hafen des Landes zum größten und vollautomatisierten Umschlagplatz der Welt auszubauen. Fazit: Singapur betrachtet die BRI Chinas eher als Chance für sein Land denn als Herausforderung.

Der Blick auf die unterschiedlichen Einschätzungen der Nationen war die Grundlage für eine lebhafte Diskussion mit den vier Vortragenden im Anschluss. Mit Blick auf Japan und weitere ebenfalls im Publikum vertretene Staaten des IndoPazifik wurde in der Diskussion deutlich, dass es der deutschen Politik guttue, auch wieder mit den anderen Akteuren der Region vertrauensvolle Beziehungen zu etablieren. Gleichwohl sei es wichtig, auch mit China den engen Austausch zu suchen, etwa in der Klima-, Umwelt- und Meerespolitik. Hier gebe es viele gemeinsame Schnittmengen.

Autor: Christoph Weigmann, GIDS; Fotos: LGAI