Seine Fragen regen Lehrgangsteilnehmende und Angehörige der höchsten militärischen Ausbildungsstätte Deutschlands dazu an, sich zu reflektieren und Gedankenprozesse in Gang zu setzen: Denn Oberstleutnant Henning L. ist einer von derzeit vier Coaches an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.

Auf dem Tisch liegen viele verschiedene Karten mit kleinen Monstern. Der eine schaut fröhlich, ein anderer weint und der nächste strotzt nur so vor Energie. Diese Gefühlsmonster gehören unter anderem zu den Methodenwerkzeugen, die Oberstleutnant Henning L. nutzt, um mit seinen Coachees ins Gespräch zu kommen. „Wie geht es Ihnen heute?“ – eine Frage, auf die kurz und knapp geantwortet werden kann. Durch die Auswahl einer entsprechenden Karte wird der Teilnehmende jedoch dazu angeregt, genau zu überlegen und zu erklären, warum er dieses und kein anderes Monster ausgewählt hat. Das Coaching beginnt.

Im „Werkzeugkoffer“ von Oberstleutnant Henning L. befinden sich eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden. Sein Hauptwerkzeug: Fragen stellen. Mehr als 60 verschiedene Coaching-Teilnehmer hat Oberstleutnant Henning L. in den fünf Jahren, die er an der Führungsakademie der Bundeswehr tätig ist, bereits begleitet. „In den anderthalb bis zweistündigen Sitzungen reflektieren sich die Teilnehmenden. In den Zeiträumen dazwischen probieren sie sich aus und wenden das an, was sie für sich selbst erkannt haben.“ 

Coachings basieren auf Vertrauen

Das erste und wichtigste, über das im Coaching-Raum gesprochen wird, ist das Thema Vertrauen. Alles, was hier beredet wird, bleibt auch in diesem Raum. So individuell Menschen sind, so unterschiedlich sind auch deren Anliegen. Auch wenn ein Thema grob schon einmal aufgetaucht ist, hat es immer wieder verschiedene Facetten. Mal geht es darum, besser zu kommunizieren, ein anderes Mal um den Einklang „Familie und Beruf“, um „aktives Zuhören“ oder darum, eine Entscheidung zu treffen. Neben dem Inhalt bestimmt der Coachee die Frequenz der Treffen und die Geschwindigkeit. „Es ist eine Begegnung auf Augenhöhe. Ich bin der Experte für den Coaching-Prozess. Jeder Teilnehmende ist Experte für sich selbst, da er sich nun mal am besten kennt.“ 

Oberstleutnant Henning L. bietet Techniken und Methoden an, die den Coaching-Teilnehmenden helfen, an ihr zuvor gestecktes Ziel zu kommen. Dieses wird mit einigen offenen Fragen konkretisiert, Lern- und Entwicklungsziele definiert und Lösungsstrategien entwickelt. Um das Ziel zu erreichen, macht Oberstleutnant Henning L. Angebote. Denn: „Ich habe noch nie zu jemanden gesagt, machen Sie das so oder so. Ich bin auch gerne mal bereit, etwas zu spiegeln, was ich wahrnehme, aber das ist halt meine Wahrnehmung und die ist, wie jede Wahrnehmung, individuell. Im Coaching gibt es kein richtig oder falsch.“ 

Materialien liegen bereit: Sprechblasen und Figuren aus Papier liegen auf einem Tisch verstreut

Verschiedene Materialien helfen Coach und Coachee an der Führungsakademie der Bundeswehr dabei, ein zuvor gestecktes Ziel zu erreichen

Bundeswehr/Christian Gelhausen

Die Freitagsreflexion

Eine Methode, die sich im Werkzeugkoffer befindet, ist beispielsweise die Freitagsreflexion. Bei dieser lässt der Coachee seine Woche schriftlich Revue passieren. So beantwortet er unter anderem folgende Fragen: Was war mein Ziel? Habe ich es erreicht? Wie zufrieden war ich mit mir? Alles, was dafür gebraucht wird: zehn Minuten Zeit, ein Blatt Papier und ein Stift. „Die Verschriftlichung der Gedanken wirkt nochmal anders, als wenn ich diese nur ausspreche“, weiß der Coach. Whiteboards, Moderationskarten oder Flipcharts kommen ebenfalls zum Einsatz.

Manchmal beeinflussen auch Situationen, die am Tag selbst passiert sind, ein Coaching – beispielsweise Feedbackgespräche, private oder berufliche Konflikte. „Ich merke, da liegt etwas oben auf“, sagt Oberstleutnant Henning L. und ergänzt: „Das gehen wir dann gemeinsam an und bereiten es nach. Das ist wichtig für den Coachee, um Klarheit zu bekommen.“ Erst dann kann das eigentliche Coaching-Ziel weiterverfolgt werden.

Jeder ist der Experte für sich selbst

Manche Coachings dauern mehrere Monate, einige gehen über die gesamte Lehrgangszeit. Es gibt aber auch so genannte „Entscheidungscoachings“, bei denen eine Frage im Mittelpunkt steht, die sich der Coachee bei einem einmaligen Treffen mit seinem Coach beantwortet. „Die Entscheidung trägt der Coachee eigentlich schon in sich. Er hat sie auch schon gefällt und weiß die Lösung. Schließlich ist er der Experte für sich selbst. Jedoch sieht er diese noch nicht und das Coaching dient dazu, diese Entscheidung hervorzuholen – mit Hilfe verschiedener Methoden.“ Manchmal hilft auch ein Perspektivwechsel und so lässt Oberstleutnant Henning L. den einen oder anderen Lehrgangsteilnehmenden auch schonmal auf den Tisch klettern, um einen anderen Blick auf die erarbeiteten Ergebnisse zu bekommen. Auch Farbkreise kommen zum Einsatz – in dem einen wird sich nur mit den positiven Auswirkungen der Entscheidung beschäftigt, im anderen ausschließlich mit den negativen Folgen. 

Zu Beginn finden die Coachings alle zwei bis drei Wochen statt. Mit der Zeit wird der Rhythmus größer. „Es macht mir eine Menge Spaß, Menschen dabei zu begleiten. Es ist eine wunderbare Sache. Und auch erfüllend“, sagt Oberstleutnant Henning L., der eine Ausbildung zum systemischen Coach absolviert hat. 

Ein Koffer mit Materialien wie Stifte, Zettel, Stecknadeln steht auf einem Tisch

Die Zettel liegen schon bereit – gleich kann das nächste Coaching starten. Oberstleutnant Henning L. hat bereits mehr als 60 Personen gecoacht

Bundeswehr/Christian Gelhausen

Coach nutzt Methoden auch für sich

Er selbst blickt auf 15 Jahre Führungserfahrung in der Bundeswehr zurück. Er war Zugführer, dreimaliger Kompaniechef und zuletzt stellvertretender Bataillonskommandeur. Auch verschiedene Verwendungen im Stab sowie drei Auslandseinsätze als Mentor, Berater und Ausbilder für Soldaten der afghanischen Armee finden sich in seinem Lebenslauf. Damals habe er viele Dinge gleichzeitig gemacht, sagt er: So habe er nebenbei auf der Tastatur getippt, als er telefonierte. Er dachte, damit käme er schneller voran. Heute weiß er, etwas bewusst und nacheinander zu machen, ist effektiver. Ab und an wendet er die Methoden aus seinem Werkzeugkoffer auch selbst an, wie er sagt. So achtet er im Sommer auf das vielfältige Vogelgezwitscher, wenn er zur Arbeit geht oder konzentriert sich beim Spazierengehen nur auf seinen Körper. „Ich höre nur auf meine Schritte und spüre den Boden und das entspannt mich.“ Aber auch ein Coach wird gecoacht – im beruflichen Kontext auch Supervision genannt. 

Ein Coaching hat seiner Meinung nach nichts mit Defiziten zu tun. Denn: „Es ist doch toll, wenn jemand sagt: Ich möchte etwas verändern, weil ich glaube, ich kann berufliche Herausforderungen, die auf mich zukommen, dann viel besser bewältigen und zugleich für meinen Dienstherrn besser performen“, sagt er und nimmt die Gefühlsmonsterkarten in die Hände – „Und welche Karte passt heute zu Ihrer Stimmung?“